HT 2021: Vom Hambacher Fest 1832 bis zum rechtskonservativen „Neuen Hambacher Fest“ 2018/19. Deutungskämpfe um einen demokratiegeschichtlichen Erinnerungsort

HT 2021: Vom Hambacher Fest 1832 bis zum rechtskonservativen „Neuen Hambacher Fest“ 2018/19. Deutungskämpfe um einen demokratiegeschichtlichen Erinnerungsort

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
hybrid (München)
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.10.2021 - 08.10.2021
Url der Konferenzwebsite
Von
Miriam Breß, Mainz

Mit den Worten von Heinrich August Winkler, dass wer über historische Deutungsmacht verfüge, auch unmittelbar politischen Einfluss ausübe, begann HENNING TÜRK (Potsdam/Bonn) seine Einführung in die von PIA NORDBLOM (Mainz) und ihm verantwortete Sektion „Vom Hambacher Fest 1832 bis zum rechtskonservativen ‚Neuen Hambacher Fest‘ 2018/19“. Das Hambacher Fest, an dem im Mai 1832 ca. 20.000 bis 30.000 Menschen teilnahmen, umfasste ein breites oppositionelles Spektrum. Der Minimalkonsens beruhte auf der Forderung nach Freiheitsrechten und der Kritik an der Fürstenherrschaft. Die auf dem Fest gehaltenen Reden, die in einer Festschrift publiziert und verbreitet wurden, boten folglich zahlreiche Anknüpfungspunkte. Die Sektion wollte zeigen, wie verschiedene politische Richtungen die Deutungsmacht über das Fest übernahmen und eigene politische Ziele damit zu legitimieren versuchten. Dabei wurden die „vernachlässigten“ Aspekte der Deutungskämpfe fokussiert: die Rolle der Schenkung 1842 an das bayerische Königshaus, die der Alltagskünste und der Darstellungen in Schulgeschichtsbüchern sowie letztlich der Versuch durch ein sogenanntes „Neues Hambacher Fest“ dem Rechtskonservativismus des 21. Jahrhunderts Ausdruck zu verleihen.

In seinem direkt folgenden Vortrag stellte HENNING TÜRK den Ort des Festes, die Hambacher Schlossruine, in den Mittelpunkt und erläuterte, wie mit einer Schenkung 1842 Geschichtspolitik betrieben wurde. Anlässlich der Hochzeit des bayerischen Thronprinzen Maximilian bildete sich ein Zentral-Komitee aus Regierungsbeamten und Männern des Besitzbürgertums, um über ein Hochzeitsgeschenk zu beraten, mit dem die „unwandelbare Anhänglichkeit“ der Pfälzer Bevölkerung an das Wittelsbacher Königshaus Ausdruck gegeben werden sollte. Fokussiert wurden vorrangig Schlösser und Burgruinen. Als die öffentliche (Spenden-)Kampagne anlief, schlug eine Privatperson dem König in einem Brief eigenmächtig das Hambacher Schloss als Hochzeitsgeschenk sowie dessen Benennung als „Maxburg“ vor. Dadurch könnten – so die Privatperson – „[d]ie Pfälzer“ bezeugen, dass „die Richtung vom Mai 1832 nicht mehr bestehe“. Der Vorschlag und die damit einhergehende Idee der „Entsühnung“ stieß beim König auf Gegenliebe, der fortan auf das Hambacher Schloss als Hochzeitsgeschenk für seinen Sohn bestand. Das Komitee, das eigentlich andere Schlösser und Burgruinen favorisierte, kam dadurch in Zugzwang. Die öffentliche Versteigerung des Schlosses, das sich zu dieser Zeit im Besitz einer Erbengemeinschaft befand, war bereits angesetzt. Im benachbarten Großherzogtum Baden hatte zudem ein anonymer Verfasser in der Mannheimer Abendzeitung in Anbetracht der öffentlichen Pläne, das Schloss den Wittelsbachern zu schenken, dazu aufgerufen, einen Verein zu gründen und das Schloss in Erinnerung an das Hambacher Fest und den „Geist der Freiheit“ selbst zu ersteigern. In der Pfalz regte sich hingegen aufgrund der rigorosen Politik der bayerischen Regierung gegen die politische Opposition keine offene Kritik gegen die Schenkungs- und die damit einhergehenden Umdeutungspläne. Das Schloss wurde somit vom Komitee erworben und als „Maxburg“ dem Thronprinzen geschenkt. Fortan konnte das bayerische Königshaus den geschichtspolitischen Umgang am historischen Ort steuern. So wurden z.B. Erinnerungsfeiern 1848 und 1882 verhindert und 1872 lediglich eine Erinnerungsfeier der Nationalliberalen Partei genehmigt, bei welcher der auf dem Hambacher Fest 1832 geäußerte Nationalgedanke hervorgehoben und u.a. an auf dem Fest gehaltene franzosenfeindliche Reden angeknüpft wurde. Die Instrumentalisierung des Hambacher Festes war somit – so das Fazit – nicht nur von parteipolitischen Aneignungen geprägt, sondern auch von Besitzverhältnissen.

PIA NORDBLOM warf den Blick auf die Rezeption des Hambacher Festes durch die (Alltags)Künste. In diesen hatte sich rasch ein enger Motivkanon mit starkem Wiedererkennungswert herausgebildet: die Hambacher Farben, die Porträts der Redner sowie die Abbildungen des Schlosses und des Festzuges. Die Trägermedien wurden dabei nicht nur zu Austragungsarenen für die politische Interpretation des Festes, sondern verbanden – wie z.B. Pfeifenköpfe und Hutanstecker – auch Privatheit mit Öffentlichkeit. Die Motive selbst unterlagen Beliebtheitskonjunkturen und wurden mit unterschiedlichen Deutungen gefüllt. So dominierten die Hambacher Farben als Fahnen, Bänder, Schärpen und Hüte das Fest. Auch die direkt nach dem Fest aufgestellten Freiheitsbäume in der Pfalz wurden mit schwarz-rot-goldenen Bändern geschmückt. Die Farben wurden allerdings bald verboten. Nach dem Fest genossen vor allem die Porträts der Redner, allen voran von Johann Georg August Wirth (1798-1848) und Philipp Jakob Siebenpfeiffer (1789-1845), eine starke Beliebtheit. Dabei kam es auch zu einer Art Heldenverehrung, wobei letztlich auch das Wirth in Hambach geschenkte Ehrenschwert in die Bildwelt der Revolution von 1848/49 einfloss. Danach verblasste allerdings der Wiedererkennungswert der Porträts zusehends. Im frühen 20. Jahrhundert wurde vor allem das Bildmotiv des Schlosses präsent. Dies wurde z.B. von der nationalen und konservativen Arbeitsgemeinschaft der Pfälzischen Presse anlässlich einer von ihr ausgerichteten 100-Jahr-Feier als Bezugspunkt auf ihrer Einladung genutzt. Das Motiv des Schlosses wurde allerdings von einem deutschen Adler überwölbt und zugleich wurden die Hambacher Farben verzerrt dargestellt. Die Hambacher Farben genossen indes bei der SPD eine hohe Beliebtheit, die diese als Bekenntnis zur Weimarer Republik nutzte. Nach 1945 spielten die Farben vermehrt über die SPD hinaus eine Rolle. So stand im Mittelpunkt der 125-Jahr-Feier eine Originalfahne des Hambacher Festes, womit nicht nur dem Einheits- und Freiheitsgedanken Ausdruck gegeben werden sollte, sondern auch das neuerschaffene Bundesland Rheinland-Pfalz historisch legitimiert werden sollte. Gerade in den letzten Jahrzehnten wurde der Festzug zu der Bildikone des Hambacher Festes. Trotz diverser Überlieferungen werde dabei vermehrt auf eine Darstellung des Festzugs in Bewegung zurückgegriffen, womit ein visuelles Inklusionsmoment geschaffen werde, das anschlussfähig für vielfältige gesellschaftliche Gruppen und Individuen sei. Der Festzug war bereits auf dem „Hambacher Tuch“ immanent, das kurz nach dem Fest als Massengut produziert wurde. Die Darstellung des Festzugs war auf diesem allerdings umsäumt von 16 Porträts von führenden süddeutschen Liberalen des Vormärz, die teilweise gar nicht am Fest teilgenommen hatten. Im Zuge der Verfolgungspolitik der bayerischen Regierung und der Schenkung des Schlosses an die Wittelsbacher war das Motiv zunächst verschwunden.

MEIKE HENSEL-GROBE (Mainz) fokussierte in ihrem Beitrag die Darstellung des Hambacher Festes in Schulgeschichtsbüchern, wobei sie den Schwerpunkt auf Veröffentlichungen des 19. Jahrhunderts legte. Schulgeschichtsbücher, so Hensel-Grobe, vermittelten ein staatlich approbiertes und gesellschaftlich legitimiertes Wissen an eine nachkommende Generation, denen damit historische Orientierung zur Gestaltung der Zukunft ermöglicht werden solle. Dabei gäbe es aber nicht nur die „eine Darstellung“ der Vergangenheit, sondern vielfältige Tendenzen innerhalb der Darstellungen. Im Deutungskampf um das Hambacher Fest übernahmen Schulgeschichtsbücher bereits ab 1837 eine bedeutende Rolle. Die Teilnehmenden des Hambacher Festes figurierten dort im Laufe der Zeit u.a. als „Hitzköpfe“, „Aufrührer“, „republikanische Schreier“ oder aber als „Vorkämpfer für Einheit und Freiheit“. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Hambacher Fest in den Schulgeschichtsbüchern zunächst mehrheitlich als Höhepunkt der in die Revolution von 1848 gipfelnden Entwicklung dargestellt, wobei betont wurde, dass sich die Redner des Festes gegen die Tyrannei der Fürsten stemmten und die Freiheit des „deutschen Volkes“ erstrebten. Eine kleinere Gruppe von Lehrwerken interpretierte das Hambacher Fest hingegen auch zu dieser Zeit als Tiefpunkt des Vormärzes, wobei „Hitzköpfe“ das Volk – das als ungebildet und leicht manipulierbar beschrieben wurde – zu einem ungerechtfertigten Aufruhr aufstachelte. Mehrheitlich war aber eine konstitutionell-liberale Perspektive zu finden, in der auf die Schaffung eines Verfassungsstaates in der Zukunft gezielt wurde. Im Kaiserreich rückte dann mehr und mehr die nationale Identität in den Mittelpunkt der Darstellungen, wobei gleichzeitig das Freiheitsstreben zunehmend verschwand. Das Hambacher Fest verlor damit einhergehend als Thema selbst an Bedeutung. Die Forderung einiger Redner nach der Verbrüderung freier Völker wurde so z.B. verunglimpft und die frankreichfeindlichen Äußerungen Wirths als positiv hervorgehoben. Spätestens nach 1890 fanden auch sozialdemokratische Deutungen keine Berücksichtigungen mehr in den Schulgeschichtsbüchern, da der Geschichtsunterricht nach einem Erlass des Kaisers der Ausbreitung sozialistischer und kommunistischer Ideen vorbeugen sollte. Letztlich thematisierte Hensel-Grobe in einem Ausblick die Darstellungen des Hambacher Festes in den Schulgeschichtsbüchern in der DDR und der BRD. Während in der DDR das Fest als Aufbegehren einer „breiten Volksmasse“ gegen reaktionäre Kräfte dargestellt wurde, beschrieben es bundesrepublikanische Schulbücher als Versammlung der Liberalen. In der DDR wurde damit einhergehend u.a. die Schuld der Teilung Deutschlands der Reaktionäre und in der BRD eine „westeuropäische Werteorientierung“ untermauert.

WILHELM KREUTZ (Mannheim), zugleich Vorsitzender der Hambach-Gesellschaft für historische Forschung und politische Bildung, thematisierte anschließend die Versuche von Max Otte seine politischen Ansichten in die Tradition des Hambacher Festes zu stellen. Otte selbst war von 2018 bis 2021 Vorsitzender des Kuratoriums der AFD-nahen Desiderius Erasmus Stiftung und hat seit 2021 den Vorsitz der „Werte Union“ inne. Die Aneignung fand – neben dem erfolglosen Versuch der Hambach Gesellschaft beizutreten und diese zu unterwandern – insbesondere durch die mehrmalige Ausrichtung eines sogenannten „Neuen Hambacher Festes“ (2018-2020) am historischen Ort statt. Auf diesem „Neuen Hambacher Fest“ beschworen die Redner und Rednerinnen eine „Überfremdung“ des „christlichen Abendlandes“ durch eine „Islamisierung“, die Dominanz eines „linken Medienmainstreams“, die angebliche Bedrohung ihrer Meinungsfreiheit sowie damit einhergehend die vermeintlich drohende „Spaltung“ der solidarischen Gesellschaft. Durch die Verknüpfung mit dem historischen Hambacher Fest sollten vor allem die eigenen Forderungen mit den historischen Forderungen nach „nationaler Einheit“, „Freiheit“ und „Volkssouveränität“ untermauert werden. Die Geschichte des Hambacher Festes sei allerdings für Otte – so Kreutz – nur ein „Zitationssteinbruch“, an dem er sich kontextlos und polemisch bediene. Letztlich stieß die Ausrichtung des „Neuen Hambacher Festes“ auf einen breiten gesellschaftlichen Widerspruch. In der anschließenden Diskussion wurde schließlich darauf hingewiesen, dass die Wahl des Hambacher Festes auch aus biographischen Gründen resultierte: So hat Otte familiäre Verbindungen in der Gegend des Hambacher Schlosses. Ebenfalls könne durch die Aneignung des Festes auch das „Nationale“ hervorgehoben werden sowie ein Gestus der Auflehnung gegen die Obrigkeit.

Die Sektion verdeutlichte plausibel die Aneignung des historischen Festes für gegenwärtige Zwecke anhand der Alltagskünste, der Schulgeschichtsbücher und dem Versuch der Etablierung eines „Neuen Hambacher Festes“. Durch die Thematisierung der Schenkung machte sie zudem deutlich, wie wichtig auch Besitzverhältnisse für eine Aneignung sein können. Letztlich zeigte die anschließende Diskussion darüber hinaus noch eine Reihe von Forschungslücken, wie etwa zum Umgang von Emigranten in Amerika mit dem Hambacher Fest sowie zu den Erinnerungsfeiern in Paris und der Schweiz. Auch wurde z.B. die Frage aufgeworfen, wie die Ausrichtung des „Neuen Hambacher Fest“ im Ausland wahrgenommen und thematisiert wurde.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Henning Türk (Potsdam/Bonn) / Pia Nordblom (Mainz)

Henning Türk: Einführung

Henning Türk: Die Schenkung des Hambacher Schlosses an die Wittelsbacher 1842: Eine konservative Überschreibung des Hambacher Fests?

Pia Nordblom (Mainz): Das Hambacher Fest und die Sprache der (Alltags)Künste

Meike Hensel-Grobe (Mainz): Phantasten, Rädelsführer, Vordenker – Repräsentationen des Hambacher Festes und seiner Akteure in Schulgeschichtsbüchern

Wilhelm Kreutz (Mannheim): Das Neue Hambacher Fest und die Deutungen durch den Rechtskonservatismus

Ewald Grothe (Gummersbach/Wuppertal): Kommentar und Moderation